Nicht nur die Chiemgauer100, auch der JUNUT ist ein Ultratrail, der mittlerweile auf eine längere Geschichte zurückblicken kann. Am 8. April 2022 fand bereits die mittlerweile 10. Austragung statt. Dieses Jubiläum hatte es nicht leicht, denn dank Corona musste der Lauf 2020 und 2021 leider abgesagt werden; und der 10. JUNUT sollte auch für 2022 alles andere als ein normaler Kindergeburtstag werden. Was ist geschehen? Darüber berichtet jetzt unser Orgateam-Mitglied und langjähriger JUNUT-Fan Bernd Spring, viel Spaß!

Für einen 239 Kilometer langen Lauf mit 7500 Höhenmetern zu trainieren sei anstrengend? Ja, das dachte ich auch mal. Doch diesmal gingen Stress und Ärger erst los, als mein Training bereits zum größten Teil abgeschlossen war, etwa 4 Wochen vor dem Start des JUNUTs.

Zunächst wurde ich von Corona umzingelt. Aber ich hielt glücklicherweise der Bedrohung stand, so dass es am Ende und nach unzähligen Tests  hieß: Eins zu Null für Team Moderna!

Als nächstes kamen dann ganz plötzlich fiese Rückenschmerzen. Ich kam kaum noch aus der Kiste. Und kurz darauf, das war gerade mal 7 Tage vor Start, verbuchte ich sogar noch einen kleiner Lauf-Unfall mit Knochenquetschung und Schwellung im Fuß als Folge. Was geht ab?

Ich hatte schon alle Hoffnung auf die Teilnahme am JUNUT aufgegeben, allerdings die Rechnung ohne meinen Physio Bastian Angeli gemacht. Um es kurz zu machen: Er kann doch tatsächlich zaubern! Vielen Dank!

Einen “richtigen” Zauberer hätte Dirk auch dringend benötigt, denn eigentlich wollten wir ja gemeinsam, sozusagen als C100-Delegation, beim JUNUT antanzen. Doch wie einige andere Teilnehmer in diesem Jahr musste auch er leider krankheitsbedingt die Segel streichen.

JUNUT on my mind

Als vielfacher JUNUT-Täter und nach dreijährigem Entzug war das Wiedersehen mit alten und einigen nicht ganz so alt aussehenden Gesichtern das erste ganz große Highlight des diesjährigen JUNUTs. Wie Karen schon richtig sagte: Es fühlt sich an wie nach Hause kommen. Margot und Gerhard haben mit dem JUNUT eine Gemeinschaft, eine Familie aufgebaut; es wurden über die Jahre hinweg viele Freundschaften geschlossen und dafür werde ich den beiden immer dankbar sein.

Verantwortung wird beim JUNUT groß geschrieben. Darum gibt es die Startunterlagen erst nach Impfnachweis und einem negativen Schnelltest. Sehr vorbildlich, dass der Gesundheit zuliebe, für Teilnehmer und Helfer, dieser Mehraufwand betrieben wird. Das Briefing findet dann im Anschluss beim Bräu-Toni statt. Dort gibt es auch noch eine sehr leckere asiatische Nudelpfanne, vegan und im All-You-Can-Modus; ich kann mich anschließend kaum noch bewegen. Gegen 20.30 Uhr geht es dann für mich zurück in die Pension, um ein letztes Mal für längere Zeit die Äuglein zu schließen.

Die Wetteraussichten verhießen nichts Gutes und der Begriff “JUNUT-Wetter” scheint eine Definitionerweiterung zu benötigen. Wenn man als Ultraläufer nicht mit allen Wassern gewaschen war – nach dem JUNUT 2022 sollte man es sein. Darum habe ich in meinem Dropbag voll auf Wechselklamotten gesetzt. Eine ausgezeichnete Wahl, wie sich noch herausstellen wird.

Ich beschließe spontan , für jeden gelaufenen Kilometer einen Euro an Ärzte ohne Grenzen zu spenden – in der Hoffnung, am Ende des JUNUT-Wochenendes eine deftige Summe erlaufen zu haben. Dirk schließt sich diesem Plan an, was meine Selbstmotivation nochmal gut pusht. Und Tina füllt auf – jeder von mir nicht gelaufene Kilometer wandert ebenfalls in die Spendenkasse! Ja, so muss das sein, denn ganz egal wie weit ich komme, Ärzte ohne Grenzen werden profitieren.

Alter Falter!

Um das Feld zu entzerren gibt es drei Startgruppen: Die erste Gruppe an Startern ist bereits um 8:30 Uhr auf die Piste gegangen und um 15 Uhr dürfen die ganz Schnellen los. Jetzt ist es kurz vor 11 Uhr – unser Starttermin – und das Wetter meint es noch gut mit uns; kühl und trocken. Nach einem kurzen Plausch mit Peter von der Verpflegungsstelle (VP)  Schmidmühlen, mit Tim, Ingo und einigen anderen Lauffreunden ist es soweit. Wir werden von Gerhard und dem Bürgermeister Dietfurts auf die Strecke geschickt, herzlichst angefeuert von Margot und einigen Zuschauern.

Bei einem Lauf über 239 Kilometer blende ich im Kopf die komplette Strecke so gut es geht aus und hangle mich von VP zu VP. Die imaginäre Handbremse ist dabei natürlich noch angezogen und ich versuche, mich trotz der Höhenmeter und streckenweise schlammigen Piste auf ein Wohlfühltempo einzupendeln.

Schon bald setzt leichter Regen ein; zu leicht, um mit einer Regenjacke zu kontern. Doch das ändert sich rasch. Der Regen wird stärker und bevor ich klattschnass bin, lege ich doch lieber eine wasserabwehrende Schicht drüber. Ich bin mit Thorsten und Flo unterwegs. Flo kommentiert schwierigere Trailabschnitte gern mit “Alter Falter!” und dokumentiert – mit laufender GoPro um uns herum tänzelnd – unseren Lauf. Er wurde von Thorsten fürs Entertainment seines JUNUT-Prologs gebucht, ist für die Bambini-Strecke (100k) gemeldet und macht den Anschein, mindestens einen Bonus-Kilometer aufgrund seiner unökologischen Herangehensweise drauflegen zu wollen.

Geht es auf besonders steilen und gleichzeitig schlammigen Pisten nach oben, bekommt Flo von Thorsten und mir ein Beileid oder auch mal einen kleinen Schubs, denn er hat als einziger von uns Dreien keine Stecken dabei, welche sich für das Hochschaufeln am schlammigen Hang als wertvolle Hilfe erweisen.

Keinen Meter mehr nüchtern!

Unterwegs unterhalten wir uns über alles mögliche, ganz nach dem Motto “Lange laufen, lange labern”, welches auch für deren Podcast Morgenspaziergang gilt. Zum Beispiel labern wir darüber, ob Flüssignahrung aus Krankenhäusern eine gute Ultraverpflegung abgeben würde. An den gut ausgestatteten Verpflegungsstellen bin ich allerdings froh, weit appetitlichere Sachen vorzufinden. Vor allem mit warmen Getränke und Gemüsebrühe machen sie heute ein besonders gutes Geschäft. Und mit dem ein oder anderen Radler, gerne alkoholhaltig.

Kurz vor der 2. VP (Kelheim, etwa km 50) lässt der Regen nach und sogar die Sonne lässt sich mal kurz blicken. An einer Streuobstwiese werden wir vom sehr intensiven Apfelblütenduft empfangen. Ich bin eine Weile mit Sandra unterwegs und würde sie gerne in Kelheim auf ein Eis einladen, aber heute ist es uns dafür etwas zu kalt. Die warme Gemüsebrühe mit deftiger Nudeleinlage und Backerbsen an der VP Kelheim ist da schon weit verlockender. Und ein Radler geht natürlich auch immer. Prost.

Das Bierwunder von Matting

In Kelheim wird mir noch gesagt, dass das Wetter ab jetzt trocken bleiben soll, was meine Hoffnung, die komplette Strecke zu schaffen, deutlich steigert. Der Dauerregen und schlammige Trails konnten zwar mit Humor genommen werden,  haben aber dennoch ein bisschen mehr Kraft gekostet. Jetzt bin ich froh über jeden Anstieg, der dafür sorgt, dass die Körperwärme meine Klamotten trocknet. Bei VP 3 in Matting habe ich Wechselklamotten deponiert, auf die ich mich schon sehr freue.

Ich mag diesen Wald nach Kelheim sehr. Der Wanderweg wird hier nicht allzu intensiv gepflegt, so dass die Singletrails einige schöne technische Einlagen bieten.

Es wird bereits dunkel, als ich wieder vom Wald ausgespuckt werde. Jetzt läuft man weiter auf den Feldwegen einer Ebene, über die der Wind ungehindert blasen kann. Und genau das passiert jetzt. Es wird windig und beginnt zu tröpfeln. Thorsten und Flo holen mich wieder ein, als ich erneut meine Regenjacke aus dem Rucksack ziehe … und das war keine Sekunde zu spät!

Plötzlich bricht ein heftiges Gewitter über uns herein. Es regnet sehr stark und fast horizontal. Als würde jemand neben dir herlaufen und ständig einen Eimer Wasser auf dich schütten. Dazu Blitze, welche die Nacht für einen kurzen Moment zum Tag machen. Was für ein Naturschauspiel – und wir mittendrin. Wie war das gleich nochmal? Hatte der Wetterbericht keine zwei Stunden zuvor noch was von einer trockenen Nacht gefaselt? Sind die Vorhersagen für die Oberpfalz mittlerweile genau so unberechenbar wie die für den Chiemgau?

Doch auch der schlimmste Wolkenbruch lässt irgendwann nach. Auf der Donaubrücke Richtung Bad Abbach sehe ich eine Person im goldenen Gewand stehen. Ist das bereits der Beginn von Halluzinationen, welche eigentlich für Unterhaltung während der zweiten Laufnacht sorgen? Nein, es ist nur ein Läuferkollege, in einer Rettungsdecke eingehüllt. Er wartet auf Abholung, weil das Rennen hier für ihn beendet ist. Sehr schade. Aber er fügt noch hinzu “Das Rennen wurde eh soeben von offizieller Seite abgebrochen.” Oha! Thorsten vermutet, dass bei dieser Strömung das Boot, welches die Läufer über die Donau bei Matting bringen sollte, nicht fahren kann.

Plötzlich werde ich von Tobi überholt. Er ist vier Stunden nach mir gestattet und bereits hier, bei Kilometer 68, hat er mich wieder. Crazy! Wir sagen ihm, dass Gerüchten zufolge das Rennen vorbei ist. Tobi: “Warum? Das Wetter ist doch subbr!”

Ich rufe Tina, die als Helferin den VP bei km 180 schmeißen sollte, an und nach kurzer Recherche bestätigt sie den Renn-Abbruch. Das Wetter soll nicht besser werden, es sind weitere Unwettermeldungen reingekommen und die Sicherheit der Läufer kann nicht gewährleistet werden. Okay, dann gibt es wohl keine Alternative, das ist klar. Irgendwie schade, aber auch das ist Ultra. Ich schlurfe weiter Richtung  Matting, freue mich auf frische Klamotten und auf ein wohlverdientes Bier.

Im Feuerwehrhaus Matting (VP 3) werden Tim, den ich unterwegs aufgegabelt habe, und ich abgefeiert, als hätten wir das Rennen gewonnen. Ich war etwa 13 Stunden bis hierher unterwegs. Es herrscht eine gute Stimmung und niemand muss durstig bleiben. Prost! Pizza bis zum abwinken, Bier, dazu Snacks und Getränke von der klassischen VP-Bar, trockene Klamotten und nette Gespräche. Die Zeit, bis wir abgeholt und nach Dietfurt zurück gebracht werden, vergeht wie im Flug.

Wieder in Dietfurt angekommen geht es gleich weiter in die Aftershow-Party, welche ein kleiner harter Kern um Orga-Chef Gerhard in der Turnhalle abhält, bis ich mich kurz vor vier Uhr morgens dann fast nahtlos von der Sitzbank in den Schlafsack fallen lasse. Was für ein verrückter Tag!

Fazit

Wieder wurde niemand beim JUNUT ernsthaft verletzt, obwohl die Wetterbedingungen und der aufgeweichte, rutschige Trail Potential gehabt hätten. Auch der Abbruch des Rennens sorgte hier für eine positive Bilanz.

Laut Statistik ist das Wetter beim JUNUT zu 90 Prozent ideal, um eine lange Kante über zwei Tage und Nächte zu laufen. Daher freue ich mich schon riesig auf den JUNUT 2023! Vielen Dank an die Orga und die zahlreichen Helfer, welche einen Lauf in dieser Größenordnung möglich machen. Der JUNUT ist und bleibt etwas ganz besonderes.

Noch ein paar Eindrücke von unterwegs:

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Das Video und die Fotos in guter Qualität sind © by Flo, die unscharfen von mir. Ach ja, und checkt das mal aus: Zum Morgenspaziergang Podcast

Dirk, welcher hoffentlich 2023 auch mit an Bord sein wird, hat seine angekündigte Spende an Ärzte ohne Grenzen dann sogar auf 100 Euro aufgerundet. Auch hier ein nettes Sümmchen zusammengekommen: