Die berühmtesten beiden Buchstaben der Chiemgauer100 sind ohne Zweifel folgende: Gi.
Gi(selher Schneider) hat, wie die meisten hier wissen, den Chiemgauer100 2005 ins Leben gerufen und damit für die Ultratrail-Bewegung in Europa den Weg geebnet, denn zu dieser Zeit gab es hier noch nichts oder kaum etwas vergleichbares.
Der Chiemgauer100er ist sich in all den Jahren immer treu geblieben. Es ist eine familiäre Veranstaltung von Läufern für Läufer. Kommerzielle Hintergedanken? Fehlanzeige. Es geht um das Miteinander, die Freundschaft, die Wertschätzung der Natur. In diesem Geist möchten wir, das neue Orga-Team, den Lauf weiterführen und auf all die Arbeit, welche Gi investiert hat, aufbauen.
Doch wie kam Gi überhaupt auf die Idee, diesen Lauf ins Leben zu rufen? Wir haben ihn gebeten, doch mal die Geschichte des Chiemgauer100ers Revue passieren zu lassen. Viel Spaß beim lesen!
… und wer weitere und detaillierte Berichte von Gi über seine Ultra-Abenteuer lesen will, der sollte unbedingt hier einen Blick drauf werfen:
Gi beim UTMB, kurz vor Courmayeur.
Der Chiemgauer100er – wie alles begann
Angefangen hat es mit meinem Arbeitsaufenthalt in Ithaca, upstate NY, USA. Keine Berge nur wunderschöne Hügellandschaft.
Über die IH3 („drinking club with a running problem“) kam ich zu den Trail runs desFinger Lakes runners club (auch hier kam der Spaß nicht zu kurz), wo ich nicht nur meinen ersten 50 Meiler auf einem 2. Platz beendete, sondern auch Joel Zucker kennen lernen durfte, der mir von 100 Meilen Läufen und dem Hardrock 100 vorschwärmte. Eine Ehrentafel erinnert heute am Grant-Swamp Pass des Hardrock 100 an ihn. Er überzeugte mich, vor Beendigung meines gut dreijährigen USA-Aufenthaltes einen 100 Meiler zu laufen, da es in Europa so etwas ja nicht gäbe.
Hardrock 100, 2004.
Gesagt getan, ich suchte mir einen anspruchsvollen Lauf in der Nähe, ohne viele Flachstücke und fand ihn im Massanuten Mountain 100 miler. Damals auch bekannt als „hardest 100 miler east of the Rockies“. Ein großartiger Lauf durch die Appalachian mountains of West Virginia, liebevoll ausgerichtet durch den VHTRC (Virginia Happy Trail Running Club) , den ich 1997 auf dem 5. Platz beenden konnte. Aus heutiger Sicht war ich nicht ausreichend vorbereitet und es erinnerte mich eine Knochenhautentzündung am Schienbein noch einige Wochen daran – trotzdem hatte ich Blut geleckt.
STUNT 2007, mit neuem Streckenrekord.
In logischer Konsequenz folgten in den Jahren danach Hardrock 100, Western States, Spartathlon, Diagonale des fous, nochmal Hardrock, UTMB, STUNT und der Cascade Crest mit meist sehr zufriedenstellenden Platzierungen mindestens innerhalb der ersten 10%. All diese Veranstaltungen kann ich uneingeschränkt empfehlen! Unter anderen, lernte ich beim Western States Hans-Dieter Weisshaar (HDW) kennen, der sich Ende der 90er ganz den amerikanischen 100 Meilen Läufen verschrieben hatte und wohl auch die ersten 100 Meiler in Deutschland, wenn auch auf privater Basis als persönlichen Einladungslauf organisiert hatte.
Abbildung © Outside Magazine vom Juli 2001. Auf dem kleinen Bild sieht man Gi durch den Schnee hoch stapfen.
Der Traunsee Bergmarathon, der Swiss Alpine Run und der Rennsteiglauf waren die einzigen Europäischen Trail Läufe, die mir um die Jahrtausendwende bekannt waren und an denen ich natürlich auch teilnahm. Aber die Landschaft hier vor der Haustüre ist doch auch faszinierend. So fasste ich mir ein Herz und schlug bei der Vorstandschaft des< SV Ruhpolding vor, zunächst einen 100km Lauf organisieren zu wollen. Im Lauftreff des SV Ruhpolding war damals eine starke Läufertruppe versammelt, wenngleich sie ihre aktiven Wettkampfzeiten (Marathonzeiten um 2:20!) schon hinter sich hatten. Der Schwerpunkt des Vereins lag mittlerweile aber auf Fußball und etwas Jugendtraining. So begegnete ich in der Vorstandschaft eher Skepsis, aber als ich versicherte, vom Verein keine personelle oder finanzielle Unterstützung zu benötigen, ließ man mich unter dem Namen des SV gewähren.
Ich überlegte was mir bei meinen Läufen bisher am besten gefallen hatte und stellte einen Lauf mit Schwerpunkt „Hardrock“, gewürzt mit Ingredienzien der anderen Läufe zusammen. Schnell waren meine Lieblingslaufstrecken zu einer sinnvollen Runde geformt, die ich bei einem „unsupported“ Testlauf in knapp 14h absolvierte. Helfer konnte ich aus dem persönlichen Freundes- und Läuferkreis rekrutieren. Die meisten hatten von meinen 100 Meilen Läufen gehört und wollten nun so etwas einmal aus erster Hand erleben. Viele davon sind dem Chiemgauer100 bis heute treu geblieben, was mich sehr freut. Wie aber waren Teilnehmer zu finden? 2005 war die Trail- und die Ultra- Community sehr klein, ich nicht wirklich Teil davon – und das Internet für viele noch ein Fremdwort. Dankenswerterweise durfte ich einen Flyer beim Isarrun zu den Startunterlagen beilegen, so dass sich zum Termin 35 Läufer einfanden. Genehmigungen vom Forst und den Gemeinden hatte ich erhalten, aber fünf Tage vor dem Lauf bekam ich einen Anruf vom Landratsamt, dass ich den Lauf nicht durchführen dürfe, da er durchs Naturschutzgebiet führt und dafür eine Genehmigung der Regierung von Oberbayern notwendig wäre. Glücklicherweise konnte mir eine langjährige Freundin (Danke Susi!), die beruflich Umweltverträglichkeitsgutachten erstellt, kurzfristig ein solches bei der Regierung einreichen und ich erhielt doch noch die Genehmigung.
Reunion 2006 (die Bilder sind leider recht klein, aber besser als nichts ;) )
Die weiteren Personen, ohne die der erste Lauf nie stattgefunden hätte, sind Hans Praxenthaler, der mir einen finanziellen Rückhalt für die Fixkosten gab, vor allem solange die Teilnehmerzahlen noch unsicher waren, und Erika und Herbert Fritzenwenger sen., die mit ihrer Ruhe, Biathlon-Weltcup Erfahrung, unglaublichem Engagement und Materialien vom Ski Club Ruhpolding immer zur Stelle waren, wo es auch nötig war.
Bei der Erstausgabe ließ ich es mir jedoch nicht nehmen, selbst (außer Konkurrenz) teilzunehmen, und danke meinem Team von etwa 35 Helfern, alles so gut über die Bühne gebracht zu haben, dass die Läufer allesamt begeistert waren.
Im folgenden Jahr erweiterte ich die Strecke dann um einen optionalen Vorspann auf 100 Meilen (meine eigentliche Leidenschaft), was nur durch starke Unterstützung aus dem Läuferfeld an den Kontrollstellen möglich war. Die 100 Meilen gewann ich mit deutlichem Vorsprung in gut 24 Stunden.
Nach der erfolgreichen Ausdehnung auf 100 Meilen ersuchte ich die höhere Naturschutzbehörde um eine Freigabe auch dieser Strecke, was wiederum zum Widerruf der Genehmigung des gesamten Laufs führte. Glücklicherweise unterstützten mich etliche Teilnehmer mit Briefen an die Regierung und auch Bürgermeister und Tourismus, wenn auch nicht von sich aus aktiv, signierten mein Schreiben dorthin. Letztendlich konnte ich eine Genehmigung unter Auflagen erwirken, die in den kommenden Jahren noch geringfügig angepasst wurden.
Meine Hauptsorge, der späte Termin Ende Juli (gewitterträchtig und verkehrs- sowie helfertechnisch ein Problem wegen des Beginns der Sommerferien) ließ sich jedoch nicht ändern. Als Grund wurde mir die Einschätzung eines Wildbiologen zur Rauhfußhuhn-Vogelbrut genannt. Das wollte ich so nicht hinnehmen, brachte den Namen und die Kontaktdaten des Experten in Erfahrung und fragte bei diesem nach, ob er sich das Ganze nicht selbst noch einmal genauer ansehen wolle. Hierbei stellte er fest, dass durch die Läufer im gesamten Juli keine – über den normalen Wanderbetrieb hinausgehende – Gefahr für die Rauhfußhühner bestehe, und bestätigte mir dies in einem teuren Gutachten. Interessanterweise wurde selbiges von der Regierung als zu oberflächlich eingestuft, obwohl es von der gleichen Person kam, die ursprünglich als Grund für den späten Termin genannt wurde. So muss es derzeit leider beim gewitterträchtigen Ende Juli bleiben.
In den Folgejahren wurde die Versorgung auf dem 100 Meilen Vorspann weiter ausgebaut, die Teilnehmerzahl entwickelte sich weiter nach oben, bis das behördliche Limit von 150 Personen erreicht war und in den Jahren um 2010 eine lange Warteliste entstand. Letztendlich schafften es aber alle, die hartnäckig genug waren, bis zum letzten Tag zu warten, zu einer Teilnahme. Die Besonderheit des Chiemgauer100 ist ja auch seine persönliche Atmosphäre und die individuelle Betreuung der Läufer. Hier ist 150 eine Grenze, oberhalb der ich dies nicht mehr in gleichem Maße für möglich halte und es somit auch für eine gute Regelung erachte. Klasse statt Masse!
Auf Anfragen, die Teilnehmerzahlen zu erhöhen, machte ich den Teilnehmern den Vorschlag, sich doch selbst an die Organisation eines Trail-Ultras zu machen, dann wäre die Warteliste nicht so lang. Und tatsächlich haben einige Teilnehmer der ersten Jahre in der Folgezeit selber Trail Läufe oder Trail Ultras mit teils extremen Streckenlängen erschaffen, die sich heute großer Beliebtheit erfreuen.
Kurz darauf explodierte das Trail Running und dessen Kommerzialisierung. Eventveranstalter und Tourismusvereine der Alpenländer (nicht Deutschlands) erkannten das Potenzial hier Gewinn für das Unternehmen und/oder die Gemeinde zu erzielen. Durch das große Angebot an Veranstaltungen, die dann teilweise mit sehr großzügigen Zeitlimits auch auf Masse setzten, waren in den Jahren ab 2015 wieder etwas sinkende Teilnehmerzahlen zu beobachten, so dass der Lauf die erlaubten 150 Teilnehmer teilweise nicht mehr ganz erreichte. Alles änderte sich 2020. Corona hatte die Welt im Griff, Massenveranstaltungen waren unmöglich und auf einmal wollte jeder beim Chiemgauer100 dabei sein. Durch das niedrige Teilnehmerlimit war der Chiemgauer100 einer der wenigen Läufe, die stattfinden konnte, neben wenigen anderen, eher privat veranstalteten. Die großen kommerziellen Anbieter mussten zumeist an den behördlichen Auflagen, wie z. B. Teilnehmerbeschränkungen scheitern.
Seit der 10. Austragung denke ich darüber nach, aus der Organisation (die ich die meisten Jahre ganz alleine stemmte) auszusteigen. Hauptgrund ist neben den Schwierigkeiten mit Naturschutzbehörde, Sportverein und wachsenden Einschränkungen durch den Forst, die Tatsache, dass ich selbst gesundheitsbedingt (Sprunggelenksverletzung) keine Ultras mehr laufen kann. Dadurch leidet mein Draht zur Ultra-Gemeinde und der Enthusiasmus, mich für diesen Lauf einzusetzen, schwindet allmählich. Man soll ja bekanntlich aufzuhören, wenn es am schönsten ist, und nicht dann, wenn es nicht mehr geht.
Glücklicherweise haben sich durch die lange Ankündigungsfrist vier ehemalige Teilnehmer zusammengefunden, um den Chiemgauer100 weiterzuführen, unterstützt von weiteren Teilnehmern und Helfern der vergangenen Jahre (mich inklusive – aber nicht mehr als alleiniger Verantwortlicher). Dass das so ist, freut mich sehr. So geht der Chiemgauer100 ab 2021 mit einem neuen Internetauftritt und einer teilweise neuen Strecke in eine gute Zukunft.
Ich bin froh, dass meine Arbeit der letzten Jahre also nicht umsonst war und der Chiemgauer100 weiterhin als „low-key event“ von Läufern für Läufer viele Teilnehmer begeistern kann.
Weiterhin viel Erfolg, Chiemgauer100, und bleib unfallfrei!
P.S. Was hab ich vergessen?
Einen großen Dank an all die Helfer, die über lange Jahre hinweg immer zur Stelle waren, nie murrten und Euch Läufer immer bestmöglich mit Verpflegung und aufmunternden Worten unterstützt haben! Danke, danke, danke!